Wenn man die aktuellen Debatten bezüglich des Bildungssystems verfolgt, bekommt man das Gefühl, dass die Qualität der Bildung – zumindest in der subjektiven Wahrnehmung – kontinuierlich abnimmt. Die Unzufriedenheit steigt insbesondere bei Schülerinnen und Schülern, aber auch bei den Eltern und Lehrerinnen und Lehrern immer weiter an. Während die Schülerinnen und Schüler das Gefühl haben, dass die Bildungsinstitutionen nicht in der Lage sind, sie auf das spätere Leben vorzubereiten und essentielles Wissen zu vermitteln, berichten die Lehrenden von demotivierten und abgelenkten Schülerinnen und Schülern, die kaum Interesse zeigen, Neues zu lernen. Somit stellt sich die Frage, ob Kinder und Jugendliche tatsächlich kein Interesse mehr daran haben, neues Wissen bzw. neue Kompetenzen zu erlangen oder ob hier ein Missverständnis vorliegt. Im Rahmen dieses Posts soll betrachtet werden, was der Unterschied zwischen der Bildung und dem Lernen ist und welche Implikationen sich daraus für die Praxis ableiten lassen.
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Auch wenn das Lernen und die Bildung das gleiche Ziel verfolgen – das Erlangen von neuem Wissen, den Aufbau von (Schlüssel-)Kompetenzen und den Erwerb von nützlichen Fähigkeiten – unterscheiden sie sich dennoch grundlegend hinsichtlich ihrer Ansätze. Das Lernen ist ein eher informeller, dauerhafter Prozess, bei dem sich eine Person selbstständig und von den eigenen Interessen und/oder Bedürfnissen motiviert weiterbildet und weiterentwickelt. Im Gegensatz dazu ist die (Aus-)Bildung der eher formelle Prozess der Wissensvermittlung seitens lehrender Personen, der in der Regel nicht dauerhaft stattfindet, sondern zeitlich begrenzt ist. Der kognitive Lernprozess ist Teil der Natur des Menschen und das selbstständige Lernen ist häufig nachhaltiger, da es durch den hohen Grad der Selbstbestimmung gefördert wird. Zudem sind Menschen hinsichtlich der Themenauswahl mehr oder weniger frei und können in Abhängigkeit der eigenen Interessen sich bewusst für das Lernen entscheiden, sodass hier keine Kompromisse eingegangen werden müssen, sofern die Lerninhalte nicht aus Herausforderungen aus der Praxis resultieren. Der selbstständige Lernprozess weist jedoch auch eine entscheidende Limitation auf: selbsterlerntes Wissen ist nur schwer belegbar. Für die Berufswelt bedeutet dies, dass Organisationen keinen direkten Ansatzpunkt für die Bewertung von Kandidaten hätten und es schwer wäre, zu überprüfen, ob ein Bewerber tatsächlich über die geforderten und benötigten Kompetenzen verfügt. Bei der (Aus-)Bildung existiert dieses Problem in der Regel nicht, da die Teilnehmer nach dem Durchlaufen der Bildungsinstitution ein Zertifikat oder einen anderen Nachweis erhalten, indem ihr Wissen und ihre Kompetenzen bestätigt werden. Diese werden im Rahmen der Bildungsprogramme durch Tests überprüft, sodass sie (von dafür qualifiziertem Personal) bestätigt werden können. Dies ermöglicht eine gewisse Vergleichbarkeit, wenn zwei oder mehr Personen in der Berufswelt um eine Position konkurrieren. Während das selbstständige Lernen die Individualität in den Vordergrund stellt, findet Bildung häufig in (unterschiedlich großen) Gruppen statt. Dies bedeutet, dass nicht immer auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen eingegangen werden kann, sondern dass das Bildungsangebot auf die Masse ausgelegt ist. Zudem werden die Inhalte von den Lehrenden im Rahmen eines Curriculums vorgegeben, was zu einer geringeren Selbstbestimmtheit und damit häufig auch zu einer geringeren Verbundenheit führt.
“Education is what remains after one has forgotten what one has learned in school.”
– Albert Einstein
Bildung sollte nie das Lernen unterminieren, sondern vielmehr als Ergänzung zum dauerhaften Lernprozess verstanden werden. Im Optimalfall fördert die Bildung das eigenständige Lernen und den individuellen Wissensdrang. Die Schule könnte beispielsweise der Ort sein, an dem Kindern beigebracht wird, wie sie effektiv und effizient lernen können. Dies wäre jedoch eine signifikante Veränderung zum aktuellen Verständnis des Bildungssystems, welches noch sehr stark auf die explizite Vermittlung von Wissen ausgelegt ist. Würde dies jedoch gelingen, könnte es eine signifikante Verbesserung der vorherrschenden Situation ermöglichen, von der viele Menschen profitieren könnten. Es ist vorstellbar, dass die Schule dann nicht länger als lästige Pflicht verstanden werden würde, sondern dass die Schülerinnen und Schüler wieder mit Spaß am Unterricht teilnehmen und nachhaltiger lernen würden. Damit soll nicht impliziert werden, dass die Vermittlung von Grundlagenwissen in der Schule falsch ist, es ist jedoch durchaus möglich, dass das Curriculum mittlerweile zu umfangreich ist, sodass hier viele kreative Freiheiten durch die Inhaltsvorgaben verloren gehen. Während die Schule so beispielsweise inhaltliche und methodische Grundlagen vermitteln würde, könnte die Universität ein Ort sein, an dem mit Hilfe der erlernten Grundlagen fach- und berufsspezifisches Wissen vermittelt wird und an dem die Studierenden berufsrelevante Fähigkeiten und Kompetenzen erlangen können. Auch wenn ein Curriculum in der Funktion als Inhaltsvorgabe die Individualität einschränkt hat es dennoch einen Vorteil: in der Praxis können Menschen durch die Vorgabe von Inhalten auf spezifische Ansätze stoßen, die sie im Rahmen des selbstständigen Lernprozesses übersehen bzw. nicht wahrgenommen hätten. Die inhaltliche Selektion durch qualifiziertes Personal ermöglicht es somit, dass keine wichtigen Aspekte im Rahmen der Ausbildung vernachlässigt werden. Derartige inhaltliche Aspekte können dann im Zuge des selbstständigen Lernens weiter vertieft werden, wenn die Person an der Thematik interessiert ist. In diesem Verständnis wäre es die zentrale Aufgabe von Bildungsinstitutionen, den Menschen die methodischen Ansätze des Lernprozesses zu vermitteln bzw. verschiedene Themen näherzubringen, die dann in einem nachhaltigen Lernprozess angewandt bzw. vertieft werden können. Der vielleicht wichtigste Vorteil des selbständigen Lernens ist, dass im Gegensatz zur Bildung keine Rücksicht auf andere Personen genommen werden muss. Die Person ist hinsichtlich des Lerntempos und der Lerninhalte frei und muss keine Kompromisse eingehen, wie dies häufig der Fall ist, wenn der Lernprozess an den Lernfortschritt anderer Personen geknüpft ist.
Die schulische und akademische (Aus-)Bildung hat in der Praxis auf jeden Fall eine Existenzberechtigung, jedoch lässt sich häufig beobachten, dass ein viel zu starker Fokus auf den erworbenen Zertifikaten oder anderen Nachweisen liegt. Ein häufiges Resultat davon ist das Prüfungslernen, welches nicht auf den nachhaltigen Erwerb von Wissen und Fähigkeiten ausgelegt ist, sondern vielmehr dazu dient, eine gewünschte Belohnung zu erhalten. Dies kann z.B. das Bestehen einer Prüfung oder der Erhalt einer guten Note sein. Andererseits ermöglichen derartige Nachweise auch eine gewisse Vergleichbarkeit, die den Auswahlprozess von Organisationen bezüglich ihrer Mitarbeiter zum Teil signifikant vereinfacht, auch wenn dabei häufig relevante soft skills unberücksichtigt bleiben. In manchen Berufsfeldern ist es zudem durchaus sinnvoll, dass die eigenen Fähigkeiten vor Beginn der Tätigkeitsaufnahme nachgewiesen werden müssen und nicht erst nachträglich überprüft werden kann, ob die Person in Bezug auf die eigenen Kompetenzen die Wahrheit gesagt hat.
Sowohl das Lernen als auch die (Aus-)Bildung zielen auf die Akkumulation von Wissen und den Erwerb von relevanten Fähigkeiten ab. Während der selbstständige Lernprozess insbesondere auf das nachhaltige Lernen ausgerichtet ist, ist die Bildung ein Vermittlungsprozess, in dem relevantes Wissen seitens qualifizierter Personen weitergegeben wird. In der Praxis liegt der Fokus häufig auf der Bestätigung der eigenen Kompetenz durch Zertifikate oder andere Nachweise, wie sie jedoch nur im Rahmen der (Aus-)Bildung erworben werden können, da diese in nahezu allen Organisationen ein zentraler Bestandteil des Auswahlprozesses sind. Wenn Menschen und insbesondere Kindern der Spaß am Lernen wieder zurückgegeben werden soll, muss an dieser Stelle eine Veränderung stattfinden. Ein denkbarer Ansatz wäre es, die Bildungsinstitutionen als einen Ort anzusehen, an dem methodische und inhaltliche Grundlagen vermittelt werden, die zu einem späteren Zeitpunkt den selbstständigen Lernprozess fördern.