Die Fragmentierung der Medien führt dazu, dass Organisationen in der Regel hohe Kosten in Kauf nehmen müssen, um eine große Anzahl an Menschen zu erreichen. Eine signifikante Ausnahme stellen soziale Medien dar. Social-Media-Kampagnen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass eine verhältnismäßig hohe Anzahl an Personen adressiert werden kann, während die dafür benötigten Ressourcen verhältnismäßig gering bleiben. Ein Grund dafür ist mit Sicherheit die Tatsache, dass soziale Netzwerke so designt sind, dass die Nutzer zum Austausch von Inhalten angeregt werden. Die Nutzer sind daher nicht klassische Konsumenten, sondern fungieren eher als Agenten, die den stetigen Informationsaustausch vorantreiben. Es stellt sich somit die Frage, ob Organisationen sich stärker auf virales Marketing fokussieren sollten, um den Bekanntheitsgrad spezifischer Produkte oder der eigenen Marke zu steigern. Im Rahmen dieses Posts soll betrachtet werden, wie virales Marketing funktioniert, warum häufig nicht die gewünschten Resultate erzielt werden (können) und warum Wissenschaftler derartige Marketingstrategien häufig mit Ansätzen aus der Epidemiologie vergleichen.
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Strategien des viralen Marketings setzen darauf, dass Konsumenten, die in Kontakt mit den dargestellten Inhalten kommen, als eine Art Träger fungieren und diese Inhalte innerhalb ihrer Community weiterverbreiten. Der Informationsaustausch läuft dabei in der Regel über existierende soziale Netzwerke, sodass Organisationen nicht zwangsläufig ein eigenes Netzwerk kreieren müssen. Ein eigenes Netzwerk kann jedoch auch von Vorteil sein, da auf diesem Weg leichter Anreize für bestehende Nutzer bzw. Mitglieder geschaffen werden können und diese dadurch eher bereit sind, die Inhalte zu verbreiten. Die starke Wirkung des viralen Marketings resultiert überwiegend auch aus der Tatsache, dass Konsumenten nicht von einem Werbetreibenden kontaktiert werden, sondern von einer bekannten Person, die eher in der Lage ist, die individuelle Meinung und somit auch das (Kauf-)Verhalten zu beeinflussen. Einige global agierende Organisationen haben es sogar geschafft, fast ausschließlich mit viralem Marketing ihre führende Position am Markt zu erreichen. Insbesondere, wenn es darum geht, den eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern, kann virales Marketing zielführend sein, dass sich Inhalte sehr schnell verbreiten können. Dies ist auch der Grund, warum Wissenschaftler die Auswirkungen von viralen Marketingkampagnen zum Teil mit der Ausbreitung von Seuchen vergleichen. Individuen, die mit den entsprechenden Inhalten in Berührung kommen, können als „infiziert“ beschrieben werden und durch das Teilen dieser Inhalte mit ihrem Netzwerk weitere Personen „infizieren“. Solange die Kampagne langlebig genug ist, können auf diese Weise viele Personen mit den Werbeinhalten in Kontakt kommen. Damit die Ausbreitung jedoch nicht einbricht, ist es wichtig, dass auch diejenigen animiert werden, die Inhalte zu verbreiten, die derartige Medien ansonsten eher passiv konsumieren. Nur wenn dies gelingt, kann die Ausbreitung über eine kleine, geschlossene Gruppe hinaus erfolgen.¹
Da virales Marketing nur dann erfolgreich sein kann, wenn viele Personen die Inhalte der Kampagne wahrnehmen, müssen die Strukturen der Netzwerke einen einfachen Informationsaustausch ermöglichen. Insbesondere soziale Medien fördern aufgrund ihres Designs somit die Mundpropaganda (word-of-mouth) innerhalb einzelner Communities und sind prädestiniert für derartige Kampagnen. Ein wesentliches Feature der meisten sozialen Medien ist das einfache Teilen von Inhalten mit einzelnen Personen oder auch Personengruppen – beispielsweise den eigenen Followern. Diese Struktur begünstigt somit eine schnelle Ausbreitung von viralen Inhalten, da die Nutzer in diesem Fall nicht nur Konsumenten sind, sondern gleichzeitig als Träger die Inhalte verbreiten. Organisationen müssen jedoch vorsichtig sein, dass der kommerzielle Gedanke der Inhalte nicht zu sehr im Fokus steht, da dies viele Nutzer davon abschreckt, die Inhalte zu verbreiten. Aus diesem Grund ist virales Marketing eher geeignet, um die Bekanntheit zu steigern und den eigenen Markenaufbau zu beschleunigen als neue Produkte vorzustellen und/oder zu vertreiben.² Eine wichtige – aber möglicherweise überraschende – Einschränkung lässt sich jedoch in der einflussreichen Arbeit von Leskovec, Adamic & Huberman (2008) finden. Die Autoren haben herausgefunden, dass der wiederholte Kontakt mit Inhalten aus viralen Marketingkampagnen nicht etwa die Bereitschaft ein Produkt oder eine Dienstleistung zu nutzen bzw. die Inhalte selbst zu verbreiten erhöht, sondern stattdessen die Bereitschaft senkt. Dies ist ein zentraler Widerspruch zu den klassischen Annahmen aus der Epidemiologie, die häufig bei der Betrachtung der Auswirkungen von viralem Marketing herangezogen werden und sollte von den Werbetreibenden berücksichtigt werden.³
Da Konsumenten wohl kaum grundlos Inhalte mit ihrem Netzwerk teilen werden, ist davon auszugehen, dass Organisationen mit ihrem Werbematerial in irgendeiner Form Emotionen hervorrufen müssen, damit dies tatsächlich verbreitet wird. Dies könnte einerseits dazu führen, dass keine klare Marketingbotschaft im Fokus steht oder auch dazu, dass die Inhalte polarisieren. Letzteres könnte für Organisationen problematisch sein, da virales Marketing nur sehr schwer zu kontrollieren bzw. zu steuern ist. Wenn die Inhalte publiziert sind, unterliegt die Ausbreitung einer eigenen Dynamik, die vom Ersteller nicht oder nur sehr schwer beeinflusst werden kann. Somit könnte eine Wahrnehmung erzeugt werden, die die Organisation in ein schlechtes Licht rückt und die Marketinganstrengungen würden in diesem Fall nicht wie gewünscht die externe Wahrnehmung verbessern, sondern stattdessen verschlechtern. Zudem ist davon auszugehen, dass entsprechende Kampagnen kaum messbare Ergebnisse liefern, da die Organisation die Kontrolle weitestgehend abgibt und somit auch kaum Spielraum für Anpassungen und/oder Verbesserungen vorliegt. Die Analyse der Ergebnisse könnte – wenn überhaupt – nur mit Hilfe qualitativer Metriken erfolgen, wobei die dafür benötigten Daten wohl kaum gesammelt werden könnten. Es ist jedoch auch denkbar, dass virales Marketing auf eine ganz andere Art vonstattengehen könnte. Wenn Nutzer so begeistert sind von einem Produkt oder einer Dienstleistung, dass sie dies freiwillig mit ihrem Umfeld teilen, könnte dies ebenfalls dazu führen, dass sich diese Meinung durch Mundpropaganda verbreitet. Aus dieser Perspektive wäre die effektivste Methode, virales Marketing zu betreiben, die Erschaffung von Produkten und Dienstleistungen, die die Konsumenten begeistern. Statt an ausgefallenen und einzigartigen Marketingkampagnen zu arbeiten, könnten Organisationen ihre verfügbaren Ressourcen einsetzen, um die Probleme der Konsumenten möglichst effektiv und effizient zu lösen. Wenn sie dies tun, ist davon auszugehen, dass die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit von ganz allein steigen wird und die Organisation sich von ihren Konkurrenten abgrenzen kann.
Auch wenn virales Marketing ein hohes Potential aufweist und verhältnismäßig wenig Ressourcen benötigt, ist es schwer, erfolgreiche Kampagnen zu realisieren. Auch wenn die rasante Verbreitung der Inhalte über bestehende soziale Netzwerke prinzipiell möglich ist, wird diese Entwicklung in der Praxis häufig durch explizite kommerzielle Intentionen unterminiert. Entsprechende Kampagnen sollten daher eher mit dem Ziel umgesetzt werden, Aufmerksamkeit zu generieren und die eigene Marke zu profilieren. Werbetreibenden muss jedoch immer bewusst sein, dass virale Inhalte nicht länger gesteuert werden können, sodass die Kampagnen nicht oder nur schwer nachträglich angepasst werden können und die Kontrolle nicht länger bei der werbenden Organisation liegt. Stattdessen könnten Organisationen den Fokus auch auf die Erschaffung von Produkten und/oder Dienstleistungen legen, die die Konsumenten so sehr begeistern, dass sie ihre positiven Erfahrungen freiwillig mit ihrem Umfeld teilen.
¹ Bhattacharya, S., Gaurav, K., & Ghosh, S. (2019). Viral marketing on social networks: An epidemiological perspective. Physica A: Statistical Mechanics and its Applications, 525, 478-490.
https://doi.org/10.1016/j.physa.2019.03.008.
² Miller, R., & Lammas, N. (2010). Social media and its implications for viral marketing. Asia Pacific Public Relations Journal, 11(1), 1-9.
https://www.researchgate.net/profile/Rohan-Miller-2/publication/268200746.
³ Leskovec, J., Adamic, L. A., & Huberman, B. A. (2007). The dynamics of viral marketing. ACM Transactions on the Web (TWEB), 1(1), 1-46.
https://doi.org/10.1145/1232722.1232727.