Alle Individuen und Organisationen müssen wichtige Entscheidungen treffen. Dabei wird in der Regel unterstellt, dass Menschen sich rational verhalten. Unter Berücksichtigung der Informationsflut, mit der sich Entscheidungsträger in der Realität konfrontiert sehen, lässt sich jedoch daran zweifeln, ob streng rationales Verhalten noch möglich ist. Im Alltag wird es immer schwieriger, fundierte Entscheidungen zu treffen und es Bedarf einem neuen Verständnis des menschlichen Verhaltens, wenn man berücksichtigt, dass Individuen nur auf limitierte Informationen zurückgreifen können. Ein viel diskutierter Ansatz sind heuristische Strategien, da diese die Entscheidungsfindung erklären sollen, wenn nur begrenzte Informationen oder zeitliche Kapazitäten vorhanden sind. Es stellt sich somit die Frage, welche Bedeutung der heuristischen Entscheidungsfindung in einem immer komplexeren Umfeld zukommt. Im Rahmen dieses Posts soll betrachtet werden was unter heuristischen Strategien verstanden wird, warum diese zunehmend an Bedeutung gewinnen und wie sie im Rahmen der individuellen Entscheidungsfindung erfolgreich eingesetzt werden können.
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Die Wissenschaft unterstellt, dass Menschen sich im Rahmen der individuellen Entscheidungsfindung vollkommen rational verhalten. Dies wäre jedoch nur dann möglich, wenn alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen und entsprechend berücksichtigt werden können. In der Praxis ist diese Voraussetzung so gut wie nie gegeben. Individuen greifen bei der Entscheidungsfindung auf Logik, Statistiken und Heuristiken zurück. Während Logik und Statistik mit rationalem Verhalten assoziiert werden, wird Heuristik häufig als fehleranfällig und irrational angesehen. Ob diese Abgrenzung tatsächlich sinnvoll ist, ist zumindest fraglich. Im Folgenden soll betrachtet werden, was unter heuristischen Strategien verstanden wird und wie diese bei der Entscheidungsfindung eingesetzt werden. Dafür bedarf es an dieser Stelle zunächst einer Abgrenzung des Begriffs. Gigerenzer und Gaissmaier (2011) definieren Heuristik in ihrer vielfach zitierten Arbeit wie folgt:
A heuristic is a strategy that ignores part of the information, with the goal of making decisions more quickly, frugally, and/or accurately than more complex methods.¹
Es ist schwierig, heuristische und nicht-heuristische Strategien klar voneinander zu trennen, da der Umfang an Informationen, die berücksichtigt bzw. explizit nicht berücksichtigt werden, variabel ist. Die Nichtberücksichtigung von Informationen führt zu einer Komplexitätsreduktion und kann die Entscheidungsfindung vereinfachen, da weniger Möglichkeiten gegeneinander aufgewogen werden müssen. Somit resultieren heuristische Strategien in der Regel auch ein einer Verringerung des Zeitaufwands, der für die Entscheidungsfindung benötigt wird. Klassischerweise wird die Zeitersparnis durch den geringeren Aufwand bei der Suche und Auswertung von relevanten Informationen mit einer schlechteren Genauigkeit der zielorientierten Entscheidung assoziiert. Ein derartiger Trade-off kann beispielsweise damit gerechtfertigt werden, dass nicht alle Entscheidungen wichtig genug sind, um einen enorm hohen Aufwand zu betreiben, aber auch damit, dass der Mensch kognitiven Limitationen unterliegt. In der Praxis lässt sich jedoch auch feststellen, dass – unter geeigneten Voraussetzungen – die Qualität von heuristischen Entscheidungen nicht zwangsläufig schlechter ist bzw. dass diese zum Teil sogar bessere Ergebnisse erzielen als komplexere Entscheidungsmethoden, die einen größeren Anteil der verfügbaren Informationen berücksichtigen. Ob und in welchem Umfang der Einsatz von Heuristik erfolgreich ist, hängt zudem von der Struktur der Umwelt ab, in der die Entscheidungen getroffen werden. Die Voraussetzungen, die durch die Umwelt vorgegeben werden, haben maßgeblichen Einfluss darauf, welche heuristischen Strategien erfolgsversprechend sind und welche Qualität bezüglich der Ergebnisse diese Strategien im Vergleich zu komplexeren Entscheidungsmethoden aufweisen.²
Die umfangreiche Verwendung von heuristischen Strategien für die Entscheidungsfindung im Alltag ist auch empirisch belegt. Dabei greifen die Entscheidungsträger auf eine Vielzahl von vereinfachten Entscheidungsmustern zurück wie beispielsweise die Wiedererkennung von Marken oder die Selektion von Konsumgütern anhand von einzelnen Attributen bzw. Funktionen des Produkts. Die Verwendung derartiger Strategien lässt sich zudem auch damit begründen, dass es Situationen gibt, in denen keine optimale Entscheidung existiert. Zudem haben heuristische Strategien einen signifikanten Vorteil gegenüber komplexen Modellen: Sie berücksichtigen keine oder nur kaum zurückliegende Daten. Komplexe Entscheidungsmodelle sind in der Regel sehr gut geeignet, um bereits bekannte Informationen mathematisch zu beschreiben, jedoch unpräzise in der Vorhersage von zukünftigen Ereignissen. Heuristiken sind weniger anfällig dafür, da sie nicht darauf ausgelegt sind, vergangene Informationen zu reflektieren. Die Qualität von heuristischen Strategien bezüglich der Vorhersage von zukünftigen Ereignissen bzw. Entscheidungen kann somit höher sein als die von komplexen Modellen. Im Rahmen der individuellen Entscheidungsfindung gilt somit unter bestimmten Voraussetzungen weniger ist (manchmal) mehr.³
Entscheidungsträgern stehen immer mehr Informationen zur Verfügung, die sie im Rahmen der Entscheidungsfindung berücksichtigen können. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob es sich um private Kaufentscheidungen oder Unternehmensentscheidungen handelt. Es ist denkbar, dass diese Informationsflut es selbst unter Einsatz enormer Rechenleistung von Computern unmöglich macht, alle relevanten Daten zu berücksichtigen und eine optimale Entscheidung zu treffen. Wenn Faustregeln verwendet werden können, die zu einem nahezu optimalen Ergebnis führen, dann ist deren Einsatz möglicherweise nicht nur effizienter, sondern sogar effektiv. Die eingesparten Ressourcen wie beispielsweise die nicht benötigte (Arbeits-)Zeit, könnte dann eingesetzt werden, um an anderer Stelle einen Mehrwert zu erzielen. Während in einem unternehmerischen Kontext womöglich eher analytische Denkweisen und entsprechende Entscheidungen Anwendung finden, unterliegen private Konsumentscheidungen häufig individuellen Präferenzen, die nicht zwangsläufig rational sein müssen. Ein weiterer Grund, heuristische Strategien zu verwenden, könnte sein, dass insbesondere bei simplen Entscheidungen des Alltags der enorme Aufwand, der benötigt wird, um eine optimale Entscheidung zu treffen, nicht gerechtfertigt ist. Je gravierender eine Entscheidung oder deren Konsequenzen sind, desto wichtiger wäre es, dass die Entscheidung so nah wie möglich am Optimum liegt.
Neben den unbestrittenen Vorteilen von heuristischen Strategien bei der Entscheidungsfindung ist es jedoch auch vorstellbar, dass derartige Strategien bewusst ausgenutzt werden. Wenn Organisationen beispielsweise davon ausgehen können, dass Konsumenten einen Großteil ihrer Konsumentscheidungen nur aufgrund der Wiedererkennung von bestimmten Marken treffen, dann könnten sie ihr Werbebudget derartig verwenden, dass die Wiedererkennung seitens der potentiellen Konsumenten maximiert wird. Unter Umständen könnten Organisationen auf diese Weise Kunden akquirieren, obwohl die eigenen Produkte oder Dienstleistung nur minderwertige Qualität aufweisen und nicht die optimale Kaufentscheidung für den Konsumenten darstellen. Auch wenn schnelle Bauchentscheidungen und flexible Entscheidungsstrukturen von Vorteil sein können, sollten sich Entscheidungsträger immer bewusst sein, dass heuristische Strategien lediglich eine Vereinfachung der Entscheidungsfindung darstellen und fehleranfällig sein können. Gleiches gilt jedoch auch für komplexe Methoden der Entscheidungsfindung – insbesondere dann, wenn zukünftige Szenarien mithilfe vergangener Daten modelliert werden und Entscheidungen in einem unsicheren Umfeld getroffen werden.
Die aktuelle Informationsflut führt dazu, dass es in vielen Fällen gar nicht mehr möglich oder zumindest ökonomisch nicht sinnvoll ist, vollkommen rationale Entscheidungen zu treffen. Der Aufwand, der betrieben werden müsste, um alle relevanten Informationen im Rahmen der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, übersteigt in den allermeisten Fällen den daraus resultierenden Ertrag. Immer häufiger werden daher heuristische Strategien eingesetzt, bei denen bewusst ein Teil der (theoretisch) verfügbaren Informationen ignoriert wird. Auch wenn lange Zeit argumentiert wurde, dass heuristische Entscheidungen häufig fehleranfällig oder sogar irrational sind, hat sich herausgestellt, dass dies nur bedingt der Wahrheit entspricht. Heuristiken führen teilweise sogar zu besseren Entscheidungen als komplexe Modelle, die einen Großteil der verfügbaren Daten berücksichtigen. Insbesondere in einem unsicheren Umfeld können sowohl private als auch berufliche Entscheidungsträger von heuristischen Strategien profitieren, wenn sie ihre Entscheidungen auf wenige, aussagekräftige Parameter stützen.
¹ Gigerenzer, G., & Gaissmaier, W. (2011). Heuristic decision making. Annual review of psychology, 62, Seite 454.
https://doi.org/10.1146/annurev-psych-120709-145346
² Gigerenzer, G., & Gaissmaier, W. (2011). Heuristic decision making. Annual review of psychology, 62, 451-482.
https://doi.org/10.1146/annurev-psych-120709-145346
³ Kurz-Milcke, E., & Gigerenzer, G. (2007). Heuristic decision making. Marketing: Journal of Research and Management, 3(1), 48-56.
https://pure.mpg.de/rest/items/item_2100565/component/file_2100564/content