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Haben Misserfolge einen positiven Einfluss auf den langfristigen Erfolg?

Veröffentlicht am: Okt 4, 2021

Irren ist menschlich! Dennoch sind individuelle Fehler und eigenes Versagen Tabu-Themen in unserer Gesellschaft. Bereits im Kindesalter lernen wir, dass Fehler etwas Schlechtes sind und vermieden werden müssen. Diese Einstellung wird im Rahmen der schulischen Bildung gefestigt und viele Menschen sind nicht in der Lage, kalkulierte Risiken einzugehen. Betrachtet man jedoch sehr erfolgreiche Individuen, fällt auf, dass viele von ihnen eine schwere Vergangenheit hatten und lernen mussten, mit Widrigkeiten umzugehen. Dies scheint ein Widerspruch zu der Annahme, dass Versagen etwas Negatives ist, zu sein. Es stellt sich somit die Frage, ob Fehlschläge auch positiven Einfluss auf den individuellen Lernerfolg nehmen. Im Rahmen dieses Posts soll betrachtet werden, warum Fehler die Grundlage für Entwicklung darstellen, wie Individuen aus Fehlern lernen und warum ein Umfeld, das Fehler toleriert, sich positiv auf den langfristigen Erfolg auswirken kann.

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der Erfolge gefeiert und Misserfolge bestraft werden. Auch wenn die Vermeidung von (überflüssigem) Risiko evolutionstechnisch sinnvoll erscheint und sich über einen langen Zeitraum als fester Bestandteil der menschlichen Psychologie manifestiert hat, so ist die Sinnhaftigkeit dieser Tatsache aus aktueller Perspektive zumindest kritisch zu hinterfragen. Smith & Henriksen (2016) verweisen darauf, dass die Offenheit für Misserfolge eine wesentliche Voraussetzung für Neugier bzw. neugieriges Verhalten ist. Das klassische Bildungssystem kommt hier jedoch an seine Grenzen, da es nicht darauf ausgelegt ist, ein sicheres Umfeld zu kreieren, in dem Fehler toleriert und experimentelles Lernen gefördert werden. Die Autoren weisen explizit darauf hin, dass ein solches Umfeld jedoch notwendig ist, um eine angemessene Risikobereitschaft zu fördern. In Zeiten, in denen Kreativität am Arbeitsplatz immer mehr an Bedeutung gewinnt, muss auch das Bildungssystem an derartigen Anforderungen ausgerichtet werden. Um kreatives Handeln im Rahmen der Bildung zu ermöglichen, ist es zwingend erforderlich, dass eine Akzeptanz dafür geschaffen wird, dass Individuen möglicherweise scheitern.¹

Fehlertoleranz ist zwar wünschenswert, sollte jedoch nicht zu weit gehen. Wichtig ist, dass Fehler nicht nur begangen werden, sondern dass auch aus ihnen gelernt wird. Die Harvard Professorin Amy C. Edmondson (2011) betont, dass dafür zunächst die (fälschliche) Verknüpfung zwischen Versagen und Schuld aufgehoben werden muss, da nicht standardmäßig davon ausgegangen werden kann, dass Individuen immer für ihr eigenes Scheitern verantwortlich sind. Immer wieder resultiert Versagen aus der Komplexität der zugrundeliegenden Situation oder dem Handeln unter Unsicherheit. Unter Berücksichtigung dieser Perspektive kann ein Umfeld entstehen, in dem offen mit Fehlern umgegangen wird und Individuen oder auch ganze Organisationen aus ihnen lernen können. Das Ziel sollte es sein, vermeidbare Fehler zu eliminieren und intelligente Fehler zu provozieren, da sie wertvolles Wissen generieren können. Ohne die Bereitschaft zu scheitern, gäbe es keine Innovationen und wir würden uns im Stillstand wiederfinden. Organisationen, die es anstreben, führende Akteure in ihrer Branche zu sein, sollten daher in Strukturen investieren, die intelligente Fehler und einen umfangreichen Lernprozess begünstigen. Das Versagen muss rechtzeitig entdeckt und detailliert analysiert werden, damit das Experimentieren aussagekräftige Erkenntnisse liefert. Viele Organisationen sind jedoch nicht in der Lage, realistische Szenarien zu kreieren, sondern testen neue Produkte und/oder Dienstleistungen beispielsweise nur unter Idealbedingungen, sodass irreführende Empfehlungen abgeleitet werden.²

Ein weitverbreiteter Ansatz, der die Bedeutung des Scheiterns für das Lernen explizit berücksichtigt, ist das Konzept productive failure von Manu Kapur. Kapur (2016) unterscheidet dabei verschiedene Möglichkeiten hinsichtlich der unmittelbaren Leistung und dem langfristigen Lernerfolg. Er geht dabei davon aus, dass Lernen und Leistung nicht immer miteinander vereinbar sind, und unterscheidet zwischen produktiven und unproduktiven Ergebnissen. Bei produktiven Ergebnissen – unabhängig davon, ob es ein Erfolg oder Misserfolg ist – liegt immer ein langfristiger Lernerfolg vor, wohingegen dieser bei unproduktiven Ergebnissen ausbleibt. In Szenarien, in denen das Lernen und nicht die kurzfristige Leistung im Vordergrund steht, sollte es daher egal sein, welches Ergebnis vorliegt. Die Gefahr eines guten Ergebnisses ist, dass die Illusion des Lernerfolgs kreiert wird. Hier existiert jedoch die gleiche Problematik wie bei der Verknüpfung von Entscheidung und Ergebnis: Ein positives Ergebnis heißt weder, dass die jeweilige Person etwas gelernt hat, noch dass sie eine gute Entscheidung getroffen hat. Das spezifische Ergebnis wird von vielen weiteren Faktoren beeinflusst. Productive failure hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass zwar ein schlechtes Leistungsergebnis vorliegt, das man oberflächlich betrachtet als Versagen bezeichnen könnte, die betroffene Person jedoch einen langfristigen Lernerfolg verzeichnet. Versagen meint in diesem Fall lediglich, dass die handelnde Person nicht zum bestmöglichen Ergebnis kommt bzw. kommen kann. Kapur argumentiert, dass der stärkste Lernerfolg dann vorliegt, wenn neues Wissen mit bereits vorhandenem Wissen verknüpf wird. Dies ist weder durch Methoden des vollständig selbständigen Lernens möglich noch durch Methoden des vollständig geführten Lernens. Stattdessen sollten Individuen auf ein Gerüst zugreifen, das sie in angemessenem Umfang unterstützt, Probleme eigenständig zu lösen und aus individuellen (und unvermeidbaren) Misserfolgen zu lernen.³

Wie oben bereits beschrieben, ist das aktuelle Bildungssystem nicht darauf ausgelegt, intelligente Fehler zu provozieren und experimentell zu lernen. Individuen, die Wert auf den langfristigen Lernerfolg legen stehen scheinbar vor ein schwierigen Entscheidung: Sollte der Fokus auf der bestmöglichen Leistung oder auf dem maximalen Lernerfolg liegen? Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch nicht pauschal möglich, sondern immer abhängig von der individuellen Situation. Die Lernmethoden sollten immer auf die eigenen Ziele abgestimmt sein, um die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit aufzuweisen. Individuen sollten sich jedoch immer vor Augen halten, dass es keine Schande ist, zu scheitern, sondern dass dies immer mit der Möglichkeit zu reflektieren und zu lernen einhergeht. Es ist davon auszugehen, dass die Konfrontation mit Widrigkeiten dazu führen kann, dass die betroffenen Personen sich zu einem späteren Zeitpunkt auf vergangene Ereignisse beziehen können und in der Lage sind, dass daraus gewonnene Wissen auf eine neue Herausforderung zu übertragen. Zudem ist zu erwarten, dass (drohende) Misserfolge auch allgemeine Fähigkeiten (soft skills) fördern, die sich positiv auf den langfristigen Erfolg auswirken können.

Wer den Weg des kontinuierlichen Lernens wählt sollte sich bewusst sein, dass persönliche Weiterentwicklung nur funktioniert, wenn man ehrlich zu sich selbst ist. Experimentelles Lernen und die Adaption von Wissen setzen voraus, dass bereits ein gewisses Maß an relevantem Wissen vorhanden ist. Bevor versucht wird, neue Herausforderungen zu meistern, ist es sinnvoll, zu bewerten, ob tatsächlich ausreichend Wissen vorhanden ist oder ob es noch an den Grundlagen scheitert. Wenn diese Hürde tatsächlich übersprungen, kann in den gezielten Aufbau eines Umfelds investiert werden, das einem dabei hilft, sich den anspruchsvollen Herausforderungen des Unbekannten zu nähern. Das unterstützende Umfeld kann dabei aus technischen Hilfsmitteln, sachkundigen Personen, einem toleranten Arbeitgeber und/oder jeder anderen Person, die das individuelle Lernen fördert, bestehen. Fachwissen allein ist nicht länger ausreichend, um einen Beruf erfolgreich auszuüben, da nahezu jeder über das Internet Zugriff auf relevante Informationen hat. Anpassungsfähigkeit, Kreativität, Problemlösungskompetenz und andere Fähigkeiten werden immer wichtiger für den beruflichen und privaten Erfolg. Sie lassen sich jedoch nicht erlernen, ohne dass Individuen experimentieren und Misserfolge sind und werden immer ein wesentlicher Bestandteil dieser Reise sein.

Jeder Mensch wird an einem Punkt in seinem Leben vor Herausforderungen stehen und an etwas scheitern. Misserfolge wirken sich nicht direkt positiv oder negativ auf das eigene Leben aus, sie kreieren jedoch Situationen, die das Potential dazu haben. Wer aus seinen Fehlern lernt, hat die Chance, eine Veränderung zu bewirken, die sich positiv auf die eigene Situation, relevante Prozesse oder ganze Strukturen auswirken kann. Für manche Menschen ist die Bequemlichkeit des Bekannten ein sicherer Zufluchtsort, den sie nicht verlassen werden. Für andere, die von der Neugier angetrieben werden, erzeugt das Unbekannte einen Reiz, der neue Entdeckungen ermöglicht. Nur wenn diese Personen existieren, können wir bahnbrechende Innovationen erleben, die unseren Alltag verändern und bereichern. Voraussetzung dafür ist ein Umfeld, das sich durch die Toleranz für intelligente Fehler auszeichnet und den komplexen Zusammenhang zwischen Versagen und Schuld fair beurteilt.

¹ Smith, S., & Henriksen, D. (2016). Fail again, fail better: Embracing failure as a paradigm for creative learning in the arts. Art Education, 69(2), 6-11.
https://doi.org/10.1080/00043125.2016.1141644.

² Edmondson, A. C. (2011). Strategies for learning from failure. Harvard business review, 89(4), 48-55.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21510518/. (PMID: 21510518).

³ Kapur, M. (2016). Examining productive failure, productive success, unproductive failure, and unproductive success in learning. Educational Psychologist, 51(2), 289-299.
https://doi.org/10.1080/00461520.2016.1155457.

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